Über Phantasie

Phantasie ist nicht das freie Treibenlassen und Umherschweifen, wie man gewöhnlich denkt, sondern im Gegenteil ein sich Konzentrieren, sich Hineinfinden, sich Begrenzen, sich auf einen Punkt Begrenzen.  — das Erkennen der Phantasie ist ein Wiedererkennen. — das "im Kleinsten enthalten sein" ist die Bedingung dafür, "nicht vom Größten bezwungen zu werden". — 
Phantasie wird aus der Vertiefung des Punktes geboren, aus dem Folgen einer einzigen Richtung, aus dem Willen zu verstehen; so wird das Unverständliche geschaffen, letzter Zweck unseres Erkennens.

DG 778
Die Erbsünde ist die Wurzel des menschlichen Adels. 

DG 777

Möglichkeit

Wir sollten die Möglichkeit immer bestehen lassen, unser Gegenteil zu sein.


DG 774

überleben

Posthum in einer posthumen Welt überleben. 

DG 774
Wir sind die absolute Gegenwart unseres Gegenteils, die Erhabenheit unserer Unterlegenheit, die Ewigkeit unseres Vergehens, uns Wandelns und Verschwindens — die Ewigkeit des Flüchtigen, des Wesens der Flüchtigkeit.
Das sogenannte Genie ist immer die wunderbare Erfahrung eines Scheiterns. – Das Genie, das heißt die Ironie, die Tragik, wird vom Erfolg vernichtet.

DG S.764
Ist das Glück eine Bewusstheit, eine Behauptung, ein Vergessen? — das Glück ist an sich unmittelbare Gegebenheit, oder ist es dialektisch und hat daher seinen Ursprung in der Angst, die es vergisst?

DG S.749


Die Zukunft ist eine Gegenwart, die über die Gegenwart hinausgeht. 

DG S.745

Muse

Vielleicht ist nur die Freude eine Muse, die Freude ist uneigennützig, sie inspiriert; der Schmerz inspiriert nur  ein Abstoßen und ist immer auf der Suche nach Trost und, in seinen Abgründen der Überlegenheit; damit ist er also nicht uneigennützig. 

DG S.743
Wie in der Antike die Tragödie und die Komödie auf der einen Seite, die Philosophie auf der anderen, so sind in unserer Zeit der Roman und das philosophische System gemeinsam geboren und haben zusammen gelebt; nun sterben sie zusammen, als abgelebte literarische Genres.

DG S.739f.
Der Misserfolg, unser verehrter Meister, von dem wir das wenige gelernt haben, was wir wissen, aber wirklich wissen, auch im Feld des Gedankens.— Der Gedanke ist ein plötzliches Licht, das auf dem Gipfel eines Misserfolgs leuchtet.

DG S.704

Widersprüche der Liebe

Der Liebende will eine Leidenschaft am Leben halten, deren Natur (wie die jeder Leidenschaft) der Wille zur eigenen Zerstörung durch den Besitz und das heißt die Zerstörung der Geliebten ist; welche eben deshalb begehrenswert bleibt, weil sie sich selbstständig erhält, also weil sie nicht besessen zerstört und ihrer Unabhängigkeit beraubt werden kann.

DG S.703

Unser Leben

Unser ganzes Leben hängt an einem Faden und der Faden hängt an nichts.

DG S.701
Wir haben die geistige Vollkommenheit erreicht, wenn wir unser Leben zur reinen Hölle gemacht haben. Die reine Hölle unseres Lebens ist der reine Geist, ist das Paradies des Geistes. 

DG S.672
Die menschliche Wissenschaft erreicht ihre Vollkommenheit, wenn sie dahin gelangt, die Nichtigkeit ihrer Grundlagen zu beweisen.

DG S.672
Eine ganze Stadt zu durchqueren, ohne einen Bekannten zu treffen, ist eine Freude, die über alles Bekannte hinausgeht.

DG S.639

negare! aber auf Deutsch? (Hinweis)

Das Leben, das Universum, Gott: alles negiert sich, könnten wir mit Emo sagen. "Negieren" klingt ja nach Logik und daher? auch philosophisch? Eher ist es einfach nur ungenau. Das italienische negare kann etwa "verneinen", "leugnen", "abweisen", "verweigern" bedeuten. Was ist in folgendem Satz besser?

Dio non è mai stanco (...) di negarsi.

"Gott wird nie müde (...) sich zu verneinen". Klingt nett, aber Er ist ja keine Behauptung, die verneint werden könnte. Es wäre denn "Ich bin Gott" / "Ich bin nicht Gott", was aber das Sein Gottes verneinte ... was ganz was anderes, oder?

"Gott wird nie müde (...) sich zu verleugnen". Kommt einer, fragt: "Bist du Gott?" "Nein, ich doch nicht!"

"Gott wird nie müde (...) sich zu verweigern". Könnte angehen. Aber wem? "Nun hab dich nicht so!" ruft der Philosoph. 

In den Klammern steht nun: di togliersi. Mi tolgo dai piedi: "ich hau ab!" Die Standardübersetzung: "verschwinden". Aber passte hier nicht besser "sich entziehen"? 

"Gott wird nie müde, sich (uns?) zu entziehen und zu verweigern"?

Im Folgenden heißt es: che sarebbe Dio se non fosse negarsi e togliersi e distruggersi? "Was wäre Gott, wenn er nicht sich Verweigern, sich Entziehen, sich Zerstören wäre"? Oder: "Was wäre Gott, wenn nicht Verweigerung, sich Entziehen, Zerstörung seiner selbst?"?

DG S.637


Vielleicht kann das Leben heute nicht mehr schöpferisch sein, weil es das vollkommene, erleuchtete, sich durchsichtige Bewusstsein erreicht hat; das vollkommene Selbstbewusstsein, das Erkenne dich selbst ist das Ende der Schöpfungskraft; die Natur, das Leben und der Mensch können nicht mehr schöpferisch sein, weil sie nicht mehr schlafen können (und noch viel weniger träumen). 

GD S.636f.

Rückkehr ins Nichts

Im Schlaf, das heißt in der Rückkehr ins ursprüngliche Nichts, kräftigt sich das Leben und erneuert sich; während es sich müht, im Handeln und im Wachen, also im Leben, nimmt es Gift auf und zerstört sich. — Leben zerstört das Leben. — die Schöpfungen des Schlafs sind die Träume, die Träume sind die reinsten Schöpfungen des Geistes, sind die Freiheit des Geistes — vielleicht sind die Pflanzen- und Tierarten die Träume des Weltlebens; Träume, geboren im Schlaf der Natur; die Natur zeugt, wenn sie einschläft, im Schlaf, das heißt, wenn sie ihre Handlung  verneint. 

GD S.636


Einzigartigkeit


Jeder Mensch ist, weil er ist, und fühlt sich als Neuheit, von nichts abzuleiten, nicht ableitbar aus Vergangenheit und Zukunft, vom vorher oder nachher. — daher fühlt sich jeder Mensch als etwas Einzigartiges und Großes. — (und Ewiges).

GD S.637

außerhalb der Geschichte

Es kann keine Geschichte der Perioden ohne Geschichte geben, die Perioden die Zeiten, in denen die Zeit schläft und sich schlafend erholt, bleiben außerhalb der Geschichte. — (...) Vielleicht ist nur ein kleiner Teil von uns zutage getreten und daher Geschichte und zeitlich; die Geschichte ist unser Bewusstsein, zu sein oder nicht zu sein. — der größte Teil unseres Geistes und unseres Seins ist unbewusst, also ewig und in seiner Ewigkeit verborgen; der größte Teil von uns ist noch ewig, ist noch nicht aus der Ewigkeit ausgegangen, um geschichtlich und bewusst zu werden, ruhmreich und sterblich. — Der Teil von uns, der ewig ist, ist derjenige, den der hohe und feierliche Klang des Lebens und des Todes  noch nicht mit dem unheilvollen Licht des Schicksals geweckt hat. 

Erinnerung

Warum soll die Erinnerung, die lebendige Gegenwart all dessen, was nicht mehr da ist, weniger wunderbar sein als die Fähigkeit, vorauszuahnen, was noch nicht da ist? — Wer sich erinnert, geht schon deshalb auf dem Asphodeliengrund  in elysischen Regionen spazieren, zwischen den Formen und den Schatten all dessen, was gestorben ist, was nicht mehr da ist, und bereichert so seine prophetische Gabe, die nichts anderes ist als die Überzeugung der Möglichkeit der Zukunft, einer Möglichkeit, die nur die Erinnerung rechtfertigen kann. 

(D/G S.844)

Die vergangenen Jahre, junge Jahre voll von Bedeutungen, geheimen Mächten, verschlüsselten Wahrheiten, die wir mehr oder weniger leidenschaftlich durchgangen haben, sie haben uns Kredit gewährt, für die ihr unerschöpflicher vitaler Reichtum gebürgt hat; sie haben uns die Zukunft geliehen;  die Zukunft, an die wir uns so intensiv erinnern   und die wir vervielfacht und herrlich zurückgeben müssen, und diese Rückgabe heißt Kohärenz  aber da immer neue Zukunften am Horizont auftauchen, vielleicht auch am Horizont der Vergangenheit, ist die Rückgabe der uns geborgten und von uns so erfolgreich, so herrlich gestalteten Zukunft, von der wir gelebt haben, manchmal auch in der Form der Kohärenz, todtraurig   und verwandelt die Erinnerung an die Jahre in einen geizigen Dämonen.

(D/G 1028)
Die Gegenwart ist ewig, weil sie dauernd stirbt  der dauernde Tod ist das Thema und die Form ihrer Ewigkeit.  die allgemeine Negation, das Bewusstsein unseres absoluten uns Zerstörens ist die Vergangenheit unserer Gegenwart.

(D/G S.1029)

Chimären

Ich habe mein Leben damit verbracht, Chimären nachzulaufen, und ich bin froh darüber; es gibt nichts Interessanteres, Angenehmeres und Würdigeres. Die Jagd auf Chimären ist die schönste und aufregendste aller Jagden. (...)

Die Gefahr der Chimären liegt darin, dass sie, wie das berühmte Tier, welches trés méchant, sich verteidigen; die Gefahr dessen, der sich von ihnen anziehen lässt (der Hirsch zieht den Jäger an), ist die, zu glauben, es handle sich um Reales, und zu glauben, etwas Wirklichem nachzulaufen. Aber wenn einer einsieht, dass die Chimären nichts Wirkliches sind, das man in Besitz nehmen könnte, sondern wirklich Chimären, und wenn er sie begehrt, weil sie dies sind und nichts anderes, schenkt er seiner elenden Existenz (alle Existenzen sind an sich elend) unvorstellbare Freuden, Schönheiten, Möglichkeiten. 

(D/G: SM S.151)


Schreiben

"Wenn wir die Fähigkeit nicht hätten, einen Empfänger zu schaffen, einzeln oder allgemein, würden wir niemals schreiben vielleicht nicht einmal denken, niemand schreibt für sich".

(Gasp/Do S. 914)

Die Gefahr

Die Gefahr, Gefangener der eigenen Schöpfung zu werden; wir alle schaffen, einfach dadurch, dass wir leben wollen denken unbewusst unsere Behausung; Behausung, welche die Synthese unseres Lebens und unserer Tätigkeit ist; Behausung, die von den Gesetzen, Beziehungen und so weiter gebildet wird — unser Unterbewusstes ist der unfreiwillige Schiedsrichter, aber absolute Gesetzgeber; wir sind Gefangene unserer Behausung und unserer Gesetze. — 

(GD S. 979)

Liebe, Verzweiflung

Die Liebe ist eine Verwandlungsform der Verzweiflung, der Verzweiflung, in der die Zeit besteht, die Unerbittlichkeit der Zeit, und das Leben, da es ja Zeit ist  — und Verwandlung ist zugleich das Bewusstsein dieser Verzweiflung, dieser unerbittlichen Verurteilung — und wird die Bejahung dieser Verurteilung — es gibt kein größeres Glück als die voluntas fati.  

(D/G S.961)

Selbsterkenntnis?

Wenn es uns gelänge,, uns selbst vollständig zu kennen, könnten wir nicht mehr leben; die Unkenntnis unsrer selbst ist die Conditio sine qua non unseres Lebens. (...)

Selbsterkenntnis Erkenntnis unserer Subjektivität will die Trennung von Bewusstsein und Sein, dessen, was Gott vereint hat.

(D/G S.961)

Die Ehe als Gleichung

Die Ehe ist eine Gleichung mit zwei Unbekannten, welche beide die je andre nicht kennen und sich selbst auch nicht.  

(D/G S. 961)

Oper vs. Philosophie

Die Kunst die Oper ähnelt unvermeidlich einem Ausrufezeichen; sie neigt dazu, den Begriff in einen erlösenden Ausruf münden zu lassen; das Geschäft des Philosophen scheint es, das Fragezeichen am Leben zu halten, welches immer durch Antworten bedroht wird. 

(D/G S.959)

Überlebendes Fragezeichen

Das Schicksal ist das Fragezeichen, das es schafft, das Fehlen einer Antwort zu überleben. 

(D/G S.918)

Gespenster (Emo und Savinio)

Uns allen ist es in unserem lebenden Leben vorgekommen, dass wir uns wie Gespenster gefühlt haben, also ohne Individuationsprinzip,  — das Alter ist, mit seiner langen Vergangenheit, zugleich die individuierteste und gespenstischste Lebenszeit. — (...) Wir sind gespenstisch, wenn die Vergangenheit, die Erinnerungen, aus denen wir aufgebaut sind, unbezwingbar werden, ein eigenes und besonderes Leben führen, unbeugbar sind. — sie sind unser anderes, und sie stehen vor uns als unsere schreckliche Identität.

(D/G S.925)


Alberto Savinio: Il signor Münster*
Er geht auf die Terrasse. Da läuft eine Katze. 
"Die Augen der Katze trafen die des Herrn Münster und die Katze blieb schlagartig stehen. Auch Herr Münster blieb stehen. Die Katze ging quer und näherte sich langsam der Wand. Sie ließ Herrn Münster nicht aus den Augen. Nach und nach krümmte sich ihr Rücken hoch, das Haar sträubte sich ihr und von Kopf bis Fuß bildete sich ein dunklerer Streifen, der Schwanz stellt sich auf wie eine Kerze. Herr Münster blieb still stehen; der Kampf beschränkte sich auf einen Kampf der Blicke. Seinerseits gab sich Herr Münster bei diesem Kampf nicht die geringste Mühe; er gab seinen Augen ihren natürlichen Ausdruck. Aber es war eben dieser natürliche Ausdruck, der die Katze verängstigte". 
Herr Münster ist, wie ihm hier deutlich wird, tot: ein Gespenst. 
*(Münster mailändisch für "Monster"

Alberto Savinio: La nostra anima, Milano (Adelphi), S.110.

Prädestination?

Die Theologen der Prädestination haben die Eitelkeit des Gedankens nicht bedacht — wozu Unglückliche wie uns vorherbestimmen, verzweifelt flüchtige Wesen, zum unvermeidlichen Tode?

(D/G S.919)

In der Nacht

In der Nacht denken wir bei unserer Abwesenheit, was vielleicht die wahrhaftigste (veridica, im Sinne von "verum dicere") und prophetischste Form unserer Gegenwart ist; unsere Abwesenheit, welche unsichtbare Lichter aufnimmt; die Lichter, die, wie die Sterne, im Sonnen- und Tageslicht nicht sichtbar sind — großartige Figuren entsteigen der Finsternis, weil wir den unbekanntesten Teil unserer selbst erkennen können, den flüchtigsten Anteil unserer Unsterblichkeit. 

— aber das Flüchtige ist das Gewand des Bettlers, in dem sich die Ewigkeit verbirgt. 

(D/G S. 899)

Fotografie

Das fotografische Bild, also die objektive Subjektivität, ist das teuflische Bild schlechthin.

(D/G S. 903)

Liebe zerstört

Die Liebe ist eine innerliche Revolution; sie ist eine Verneinung des Seins und der Grundlagen, die Tätigkeit wird, sie ist eine Verwandlung, also eine Bilderzerschlagung, welche die Form schafft, das heißt Individualität, ist eine Befreiung, die in eine neue und härtere Sklaverei führt. — Wir sind Sklaven der Figur, die wir mit der Verneinung unserer selbst schaffen, mit dem inneren Bildersturm — die Revolution wird als Bilderzerschlagung geboren. 

(D/G S.904)

Hamletisch

Wir haben Hamlet in unsrer Jugend geliebt. Es war unser Schicksal, sein Monolog zu werden und ihn zu leben (wie kann es einen Monolog, eine Rede mit sich, also mit dem Nichts, geben, der nicht der Monolog des Zweifels wäre?) den Monolog des Seins, der mit seinem Nicht-Sein spricht — Der Monolog ist der Dialog mit dem Nichts.

(D/G S.921)

Luther

Alle unsere Philosophien sind ein System von Variationen eines Themas von Luther.

(GD 1371)

(Romano Gasparotti erscheint diese eher banale Feststellung "simplizistisch oder provozierend". Er muss dann mit Weber zu Marx reiten, um endlich wieder glücklich bei den alten Griechen anzukommen.)

der Fremde

Das ganze Leben leben wir zusammen mit einem Unbekannten und wir sterben, ohne ihn je erkannt zu haben. (...) Dieser Fremde, der Unbekannte, uns selbst gleich und anders als wir, den wir, dem Delphischen Orakel zufolge, hätten kennen und erkennen sollen, ist das der Christus, von dem die westliche Welt lebt? 

(1969, N. 330)

Sonne des Geists

Die Stunden der Nacht sind für den Geist die sonnigsten. 

(G/D S.907)

schwarzer Faden

Die Goldfeder des Füllers so gehorsam zeichnet sie den langen dunklen Faden der Schrift, dem Faden der Parzen verwandt vielleicht, dem Verständigungsfaden von heute und morgen. 

(GD S.908)

Sonnenschein, Weltuntergang

Das apokalyptische gute Wetter, der leere Himmel, der die Unfruchtbarkeit der Wüste belächelt, die er geschaffen hat — Es gibt auch in der Güte, in der Klarheit, eine Apokalypse.

(GD S.912)

Bild und Wort

Auch Dante musste in seinem Paradies das Reich der Transparenz, die durchscheinenden Formen der Heiligen und der Seligen, die jenseits des Bildes und der Formen sind, durch poetische Bilder darstellen. 

Kann Gottes Wort ausgesprochen werden, wenn es kein Wort gibt, das sich nicht von einem Bild herleitete? Das Fehlen von Bildern ist die Stille; Gottes Wort ist die Stille, wie Gottes Gegenwart unsere Verzweiflung ist, unsere Einsamkeit?

(GD S.912)

das Bewusstsein des Nichts

Das Nichts ist der gemeinsame Nenner von uns Lebenden und im Bewusstsein des Nichts können die Lebenden sich untereinander verständigen — Das Bewusstsein des Nichts ist die Vermittlerin vielleicht ist diese Ariadne, das Licht, — das Bewusstsein des Nichts führt uns im Labyrinth des Lebens; vielleicht die Aktualität, so einfach ist ein Labyrinth?

(GD S.915)

Ariadne

Die Ariadne des ersten Labyrinths, die erste Muse — Ariadne, die uns aus dem Labyrinth rettet, ist die Göttin, die das Labyrinth selbst ist.


(GD S. 914)

Wenn wir sterben

Wird unser Name auf der Erde bleiben, wenn wir sterben? Was hätte er da zu suchen? Oder werden wir ihn mitnehmen auf dem Weg zu den himmlischen Flüssen? Um ihn in der Lethe zu ertränken? — wird er nicht im unendlichen Jenseits verglimmen wie ein Irrlicht? — In Wirklichkeit wird der Name in der negativen Welt, in der Gegenwelt als Wurzel des Unwissens betrachtet werden, als ein Keim der Finsternis. — Es wird keine berühmten Namen geben — es wird die Taufe der Namenlosigkeit geben, auf dieselbe Weise, in der wir hier einen Taufnamen geben ...

(Donà Gasparotti, S. 868)

Fruchtbarkeit

Der Ursprung der Fruchtbarkeit ist immer eine Verunreinigung, eine Schändung, eine Vergewaltigung, eine Gewalttat?

(S. 879)

Taugenichts sein


„Ich bin ein Taugenichts, das kann ich gut zugeben; aber ich bin einer, der fürs Nichts taugt, des Nichts fähig; in der Lage, das Nichts anzugehen zu betrachten zu ertragen“.

Io sono un buono a nulla, ciò posso anche confessarlo; ma sono appunto un buono a nulla, capace del nulla; capace di affrontare guardare sopportare il nulla.

Springbrunnen

In der Stimme des Springbrunnens, in der Flüssigkeit des Wassers, das seinen Kristall in eine innere und ununterbrochene Musik verwandelt, in jene heitere einfache unwandelbare Stimme, die alle Eitelkeit und die Rhetorik der Variationen ignoriert, ist alle Musik enthalten, sind es alle Stimmen, alle Harmonien der Seele. — So sind auch in der Handlung, im einfachen Akt und in der transparenten und identischen Gegenwart alle Formen enthalten, und unter dem Siegel der Verneinung werden alle Bejahungen wiedergeboren.


(916)

Der Dichter und die Inspiration

Es kann mitunter einen Dichter ohne Inspiration geben und eine Inspiration ohne Dichter. — In uns kann der erste Fall eintreten, aber wir müssen uns wünschen, dass das nicht oft vorkommt, weil er der weniger poetische ist, während der zweite, die Inspiration auf der Suche nach einem Dichter, den sie nicht findet, den höchsten Gipfel der Poesie darstellt; es müsste immer eine Inspiration geben, die in der Lage ist, den Dichter zu zerstören, eingebildet und voll von sich wie er ist, der leider immer in uns steckt. 


(S. 917)

Doppelte Bedeutung

Die Obelisken erinnern an die Geheimnisse der Ägypter, Monolithen der Wüste, hier umgeben von den Springbrunnen und den prächtigen Blumenbeeten des barocken Rom.  — es ist die doppelte Bedeutung der Dinge, die ihr Wesen und ihre Anziehungskraft ausmacht. — ganz so beziehen sich die alten Kirchen auf ihren Stil und auf den alten Heiligen, der sehr viel älter ist als sie und der in einem ganz anderen Geist lebte einem Geist, der sich von dem unterschied, den die Architektur der Kirche heraufbeschwört; Architektur ist immer etwas Äußeres, ist etwas Inneres, weil es Kunst ist; (...)
Alles, was eine Bedeutung hat, hat eine, weil es zwei hat. Und der Einzelne lebt, solange er beides ist, einzeln und allgemein, relativ und absolut. 

(S. 886)

Eingänge zum Hades, mit Rilke

"Alle alten Bauwerke können in gewissen Momenten einen dunklen unterirdischen Eingang in den Hades darstellen, in den tiefen Hades ferner, verlorener Zeitalter, verstorbener Epochen und Jahrhunderte — in manchen Vierteln alter Städte, wo die Straßen noch immer den Verläufen, den Grundrissen alter Zeiten folgen, sich verflechten und krümmen, sich verlieren und wiederfinden wie in einer natürlichen Formation, die Empfindung der Möglichkeit der Verständigung mit anderen Welten, da die Verbindung zu anderen, wirklich gegenwärtigen Epochen offensichtlich ist, verdichtet sich fast zu einer Stimmung, einem verschwommenen Gefühl, wie durchsichtig, ein Alptraum für manche, eine Freude für die anderen. — 

Antiquitätenläden, gedämpftes Licht, gebräuntes Gold, Figuren und berühmte Menschen überschattet von der Patina alter Gemälde, prunkvolle Gruppen und Kompositionen, bestimmt von unbestimmten Farben, um außerhalb des Zauberbanns der Bilderrahmen ins Leben zurückzukehren, auch sie entwerfen ein eigenes Leben, auf reizende Weise außerhalb der Zeit, eben deshalb, weil alles an ihnen sich auf den Stil und auf Momente vergessener Leben bezieht, das heißt auf die Zeit. 

In hellen und eleganten Höhlen geht der Antiquar um, der Hexenmeister, der Zauberer, der Wünschelrutengänger unbekannter Strömungen, zweideutiger und doppelter Mensch, der im Hades und in der Sonne, mit den Lebenden und den Toten lebt und sieht, Zauberer und Priester einer ökumenischen Religion und Händler; Weihespender und Schänder; für moderne Menschen Zulieferer des Gefühls der Echtheit und zugleich Fälscher. — Wächter der Schwelle des Labyrinths ....
der dunkle Eingang in die Unterwelt — bei einem oberflächlichen Geschlechte*. —"

(Gasparotti/Donà, S. 882f.)

*Rilke: Buch der Bilder, Pont du Caroussel (von Emo deutsch zitiert)

das Negative

Die Kraft des Negativen besteht in der Positivität des Werdens. — das heißt, das Werden ist möglich, sofern unsere ständige Vernichtung Gegenwart ist.

(S. 453)

das Ich, eine Schuld

"Das eigene Ich als Schuld fühlen, als etwas nicht zu Rechtfertigendes; als unerklärlich und daher unmoralisch, unmoralisch wie die Gottheit; das Ich fühlen als eigene Nacktheit, die nicht durch Kostüme oder Überwürfe zu kleiden ist, ohne sich selbst zu betrügen, die Nacktheit, derer wir uns instinktiv schämen und das umso mehr, je mehr wir bewusst sind, also Komplizen unserer selbst, und deshalb versuchen, dieses Ich abzuschaffen, es aufzulösen".

(Donà / Gasparotti S. 877)

Conte Andrea Emo



zwei Bilder Andrea Emos von Anselm Kiefer

Flüssiges, heißes Blei, über Ölbildern ausgegossen, vernichtet das Kunstwerk. Farbe löst sich auf, verschwindet, steigt an die Oberfläche. Das Blei, zerlöste Farbe aufgesaugt, erstarrt. Es aufrollen und das Gemälde endgültig zerstören, zerreißen, Farbreste hoch- nach außen zwingen, flügelgleich dem Betrachter entgegenschlagen: so entsteht ein neues Bild, das die Gewalt nicht verbirgt, der es sich verdankt. Eins der Bleibilder der Pariser Ausstellung "für Andrea Emo" war St. Bartholomäus gewidmet: dem gehäuteten Heiligen aus dem Mailänder Dom: Blei abgerissen von einem Gewebe von farbigen Strichen. Unvorstellbarer Schmerz im sichtbaren Schöpfungs- und Zerstörungsakt. 

Zwei Bilder tragen den Namen "Andrea Emo". Ein gemalter, ein zerstörter, ein Philosoph als Bild.

Gold der Grund, mit Rauch zum Teil verdeckt, Smoke steht da auch geschrieben, Goldsplitter, Farbschlieren, bunte sabbernde Einzeller nach rechts und links verkleckst, das Ganze mit Blei übergossen, welches, wiederum abgerollt, hinausgerollt und festgehängt, weil es nicht von alleine hält, den Blick aufs Übriggebliebene freigibt. Aber das herrschende dunkelgraue Metall des Vergessens im Mittelteil bleibt, wo nur kleine, vereinzelte Farbflecken noch auftauchen, sich Rauheit bildet. Es ist wie von Moos überwachsen. Die Zeit vergeht, auch fürs Gedachte. Hinter dem Blei ist wohl was, etwas wie nichts. 

Oder der deckende, aufgerührte? Bleiguss wäre Emo selbst? wie er schweigt, sich bedeckt hält, nichts drucken lässt, nur schreibt, was dann bunt und leuchtend auf den Seiten seiner Notizhefte herumfliegt. Aus dem zweiten Bild für ihn kommt denn auch etwas wie eine Hand heraus, die einen Stift hält, ein bleiernes Blatt dazu, herausgerissen aus einer schattenhaften neblichten wie norditalienischen Blatt-, Blättchen und Unterholzlandschaft, einem mageren zerzausten bezaubernden Totenreich, nur aufgeheitert durch drei kleine ganz bunte Paradiesvögelchen, nur so Ideen, links oben.

Was den Denker zeigt, es ist erst zerstört, wird dann hervor-, herausgerissen und kommt grau und bebuntet dem Zuschauer verstörend und betörend entgegen. 

(So recht war ja nicht vorzustellen, wie ein Bild von einem Philosophen aussehen könnte. Der und der übermittelte uns ja etwas wie das Aussehen von Kant oder Hegel oder Nietzsche, schon verblödet im Weimarer Garten, weil die Leut ja wissen wollen, ob diese Denker blond waren oder fett oder etwas. Auch von dem Italiener Andrea Emo gibt es ein Porträt von Alberto Savinio, welches nun verschwunden ist, verkauft an wer weiß wen. Aber das ist es ja auch nicht. Ein gutes Bild von einem Philosophen muss das Denken in neue Form übertragen, sichtbar machen, da die Worte ja wegkommen.) 

Also viele Grüße. Jetzt wird euch einer kaufen und weg.

Im Anfang war das Wort (--> Andreas Hartknopf)

"Das absolute Buch, das Buch, das das absolute Wort enthält; das absolute Buch, das keinerlei Beziehung zu dem hat, was sich außerhalb des Buchs befindet, das außerhalb des Absoluten ist (wirklich ist alles im Absoluten und alles ist außerhalb des Absoluten); und daher das Wort, das von keinem Verweis berührt wird auf das, was nicht das Wort ist, der erste Ursprung 
Wenn das Wort der Ursprung ist (in principio erat verbum) (...) Wenn das Wort Ursprung ist kann es sich auf nichts beziehen als auf sich selbst".

(Donà Gasparotti S. 866f.)

Ikonoklasten

"Das neue Bild, das weiß, es ist reine Subjektivität. Zerstörerin und Schöpferin von Bildern — die Einbildungskraft ist  die wahre Substanz des Lebens; darum müssen wir ihre Verwandlungen kennen".

(Donà Gasparotti S. 866)

Worte, nicht Taten

"Im menschlichen Leben, im wirklich menschlichen, sind Worte sehr viel wichtiger als Taten.  die Worte sind ganz und gar menschliche Schöpfung; eine Konstruktion ohne Grundlage ohne Bedingungen also eine göttliche Konstruktion".

Füße, Wurzeln, Bewegung

In unseren Füßen steckt die Seele, also die Wurzel unseres Verlangens nach Bewegung, also des Verfolgens und der Flucht. 

Die Füße sind das, was von den alten Pflanzenwurzeln bleibt, in denen allerdings der Wunsch nach Stabilität steckt; in unseren Wurzeln steckt unsere Beweglichkeit, unser Verlangen nach Bewegung. — 

Vielleicht bezeugt der Baum, dessen Blätterkrone im Wind rauscht, einen Fluchtwunsch, den die Wurzeln vereiteln; im Wind wenden sich alle Blätter und was kann, folgt dem Wind, der es ergreift; der Chor ihrer Stimmen ist der Ausdruck einer verzweifelten und unmöglichen Sehnsucht — unsere Wurzeln hingegen sind beweglich, und es ist der Stamm, welcher unsere Stabilität darstellt. — die Füße wissen, dass sie, um zu fliehen, auf ihrer Flucht unsere ganze Schwere mitreißen müssen.

(Gasparotti/Donà  S. 851f.)

Schaffer, Schöpfer, Selbstfresser

Battaglia Terme, 19. Juli 1963: Der lebende Organismus frisst das eigene Leben, er ernährt sich vom eigenen Leben, ist ein Selbstfresser; ist ein Menschenfresser; ist wie die Zeit, dem größten Menschenfresser; die Zeit verschlingt das Leben, eben weil das Leben Zeit ist. — (…) wir können nichts anderes fressen als uns selbst. — und wir schaffen uns, indem wir uns auffressen, wir schaffen uns, indem wir uns zerstören, es gibt keine andere Art des Schaffens.

(846f.)

Götter, Werte

Werte, Prinzipien, die Ideen, so wie auch die Götter, sind feige. In der ersten Gefahr machen sie sich aus dem Staub, sie verstecken sich, sie werden unerreichbar; so lassen sie das Leben ganz allein, und das Leben, allein und sich selbst überlassen, zeigt all seine Künste, seinen Mut, seine Unerschütterlichkeit, nutzt seine Zerbrechlichkeit als Waffe. Es vergeht, so ist es der einzige Sitz der Ewigkeit. 

(Gasparott Donà S. 847)

Adel der Einsamkeiten

"Die Zypresse ist das Symbol der Einsamkeit, ist ein in sich geschlossener Baum und der reinen Höhe der reinen Vertikalität gewidmet; alles Horizontale hat er in sich beschlossen, es ist sozusagen innerlich; deshalb ist die Zypresse, ohne Horizontalität, Poesie des Gipfels, ist sie so schön am Horizont.   Ein Zypressenweg ist eine Versammlung von Einsamkeiten, die einander betrachten, aber sich nicht vermischen.  der Adel der Einsamkeiten, eine Gesellschaft von Souveränen". 

Zeitströmungen


"Unser Leben durchläuft verschiedene Zeiten, das sind verschiedene Zeitströmungen, wie ein Schiff in verschiedenen Meeresströmungen kreuzt  Strömungen, die von weither kommen und die weit fort tragen, mit denen der Rhythmus unserer Zeit sich im Einklang findet. — Diese Strömungen, die uns durchlaufen, haben kein Alter oder sind uneindenkbarer Herkunft und der Rhythmus unserer Zeit ahnt und verrät den Lauf und lässt uns daran teilhaben. — wir haben Anteil an ihrer Herkunft und an ihrem Geheimnis und ein Stück von uns entfernt sich mit ihnen, während wir auf Zeiten zugehen, die für uns neu sind, in Wirklichkeit so alt wie das Leben. — Darum ist unsere Zeitrechnung und unsere Biographie so schwierig“.
(1963, ed. Cacciari/Donà p. 841)

Ode ans Nichts

Ode ans göttliche Nichts

Göttliches Nichts, unser Frieden, funkelndes Firmament über dunkelsten Nächten, Synthese all dessen, was wir sind, Du bist unser höchster W...